stimmbandausschnitt

dayliary, 5.4.2016

dann will niemand mehr was damit zu tun haben. nein, wir waren nicht dabei. wir haben nichts gemacht. wir sind überrumpelt worden, überrannt und überstimmt worden. das macht hier stimmung. wir sorgen hier für stimmung damit die stimmung nicht kippt und wir unsere stimme nicht verlieren an diejenigen, denen wir sie vor jahrzehnten weggenommen haben damit sie ihre stimmen nicht erheben konnten und wir unsere stimmen leiser drehen konnten und uns hinter der vorgehaltenen hand die stimmung zu nutze machten und innerhalb unseres kleinen kreises unsere eigene stimmung verbreiten konnten – ohne ein außen, den wirt ohne rechnung fertig gemacht, die stimme verstummt. die stimmbänder rausgerissen, all denen ohne welche wir eigentlich ja nicht mal irgendwann, irgendwo und irgendwie hätten eine stimme bekommen können? was? was sagen sie? ich verstehe ihre stimme nicht oder ist es vielleicht nicht die stimme sondern ihre sprache? ihre spreche, ihre rede, ihr gerede von einer anderen möglichkeit. reden sie mich doch nicht so von der seite an, ich kann ihr gerede nicht mehr entziffern und rede von sprache nicht mehr trennen. labern sie nicht so dahin. ich will ihre sprache nicht lernen, nein. ich habe meine eigene sprache, nein. wir haben unsere eigene sprache und sie, sie mit ihrer können mir da aber völlig aus meinem brechfeld, ähm sprechfeld gehen. ich kann mich ohnehin nicht mehr verständigen weil sie ständig labern. jetzt hören sie doch einfach mal zu? was glauben sie denn wer sie sind, kommen her reden, labern, plaudern und texten mich an, zu und nieder. ich will das ja gar nicht. ja ich weiß sie wollen es, aber: es interessiert mich, es interessiert uns nicht. nur dass sie es wissen. es interessiert uns nicht. wir werden die zäune, die ihr gebaut habt wieder abbauen, wir werden das wahre frontex sein, die front geht ex, verstehen sie? keine front mehr da für frontex, die geht ex. aber ihnen, ihnen sollte man fein säuberlich mit einem scharfen skalpell schnell und schmerzfrei die stimmbänder entfernen, 16 millionen ohren abschneiden ist wirklich mehr arbeit als einige stimmbänder zu entfernen, glauben sie nicht auch? hier regiert doch die vernunft oder? ach, jetzt werden sie aber emotional, ist doch nicht notwendig, nennt man gemeinwohlökonomie. es wäre total ökonomisch, weniger bla, bli und blu, vor dem sich diejenigen die gerne eine stimme hätten und noch nie eine gehabt haben, verteidigen müssten. denken sie doch an das volk. sie müssen ja nicht gleich so böse werden und ach ich sehe es, sie haben angst? haben sie angst vorm stimmbandrausschnitt, vorm stimmbandausritt, vorm stimmbandaustritt, vorm stimmbandraubritt? oh. das tut mir jetzt aber leid, angst wollte ich ihnen doch keine machen, ihnen allen nicht. ja sie haben recht, angst ist ein dermaßen schlechter begleiter, wie lange begleitet sie sie denn schon, die angst? dort ist sie immer dabei. immer hand in hand mit ihr über den balkan und retour, da können sie sich anscheissen. übers mittelmeer, dann türkei oder griechenland oder mazedonien oder sonstwohin irgendwo hinter einen zaun, wie tiere. ich glaube, dass auch tiere angst haben. diese vernunftbegabtheit, tja, die kann eben nicht jeder haben, meinen sie? es hat meist einen grund, wenn einem plötzlich die stimmbänder fehlen und das blut aus dem mundwinkel links über das kinn und über den hals weiter runter über den brustkorb rinnt, oder innen drinnen zurück in den magen. schmecken sie es schon? ihr eigenes blut? warm wohlig und weich ist das und dieser eisige geschmack? nein, nicht? da haben sie sich wohl etwas schlecht ernährt in letzter zeit, hat sie das viele gelabere und gerede und die unzähligen sprachlosen sprachexzesse wohl müde gemacht? sie brauchen keine angst zu haben. nein. eisenmangel führt nicht zum tod. führt nur dazu wenn man nicht aufpasst. aber an eisen an eis und an eisernem an eisigem fehlt es hier bei ihnen, meine sehr vereehrten herren und – sind ein paar damen hier – 1, 2, 3 … also auch damen, wohl wirklich nicht? danke für ihre aufmerksamkeit!

autorin: tanja peball

veröffentlicht in: perspektive – hefte für zeitgenössische literatur, ausgabe september 2016